10.01.2024: Blogeintrag #20

Crewfoto am 24.12.2023, 999sm to go! | Foto: Clara
Crewfoto am 24.12.2023, 999sm to go! | Foto: Clara
 

Crewfoto am 24.12.2023, 999sm to go! | Foto: Clara
Crewfoto am 24.12.2023, 999sm to go! | Foto: Clara
Crewfoto am 24.12.2023, 999sm to go! | Foto: Clara
Crewfoto am 24.12.2023, 999sm to go! | Foto: Clara
Crewfoto am 24.12.2023, 999sm to go! | Foto: Clara
Crewfoto am 24.12.2023, 999sm to go! | Foto: Clara
Crewfoto am 24.12.2023, 999sm to go! | Foto: Clara
Crewfoto am 24.12.2023, 999sm to go! | Foto: Clara
Crewfoto am 24.12.2023, 999sm to go! | Foto: Clara

An Heiligabend gab es einen wichtigen Meilenstein zu feiern: noch 999 Meilen bis zum Ziel nach 8 Tagen! Yess! Es geht voran! Rasmus schenkt uns einen perfekten Segeltag und einige kleine Geschenke von Zuhause lassen Weihnachtsstimmung aufkommen. Als Sundowner-Getränk entscheiden wir uns dann aber doch statt der mitgebrachten Glühweinflasche für Caipis mit kapverdischem Rum; fühlt sich einfach passender an. Zum krönenden Abschluss des Tages umspielen kurz nach Sonnenuntergang noch zwei Delfine unseren Bug.  

Am nächsten Abend dann aber Ernüchterung! Als wir den Motor starten wollen, um wie gehabt im Standgas die Verbraucherbatterie für Bordinstrumente, Autopilot, Kühlschrank und Geräte zu laden, springt der Motor nicht an. Wir sind ratlos, denn der Anlasser klickt und die erst im Sommer eingebauten Kontrollinstrumente für die Batteriespannung zeigen 13V Spannung. Eigentlich sollte also alles in Ordnung sein. Was kann es sein? Die Starterbatterie? Ne, die hat ja eigentlich genug Spannung. Es muss aber etwas an der Elektronik sein, denn alles Mechanische passt auch (und dem Bereich kennen Clara und Jannek sich ja gut aus). Ist eine Kabelverbindung defekt? Uns schwanen schon 8-10 Tage ohne Autopilot, ohne Hörbücher und ohne unsere liebgewonnene Filmstunde. Erstaunlicherweise werden wir just in dem Moment von der SY Liberte eines australischen Paares angefunkt, da die beiden Probleme mit ihrem AIS haben. Der Skipper ist sehr versiert und über Funk brainstormen wir gemeinschaftlich verschiedene Optionen, die alle erstmal ins Leere laufen, obwohl wir das gesamte Schiff auf den Kopf stellen. Dann hat Jannek die brillante Idee, noch einmal per Hand die Spannungen der Batterien zu prüfen. Und siehe da: Das Problem ist die Starterbatterie, die aus irgendeinem Grund doch von den Verbrauchern mit leergelutscht, dann aber nicht ausreichend von der Lichtmaschine aufgeladen wurde. Also trennen wir die beiden Batterien und geben uns selbst Starthilfe - Erfolg! Nach knapp 5 Stunden rätseln läuft der Motor um 23:00 wieder und wir lassen ihn erstmal laufen, um alles aufzuladen. Passend dazu kommt die für den 26.12-29.12 angesagte Flaute auf die Minute genau und wir müssen am Mitternacht auch den Gang einlegen.

Am nächsten Morgen, dem zweiten Weihnachtsfeiertag, beschließen wir Sprit zu sparen, den Motor auszumachen und die 1,5 Knoten Strömung von achtern zum Driften zu nutzen. Was für eine Stille, die uns plötzlich umgibt! Tief ergriffen sitze ich während der Morgenwache an Deck und genieße den Moment: kein Rauschen von Wellen oder Fahrt, keine Geräusche von Segel oder Motor. Einfach nur Ruhe! 

Als alle wach sind folgt, worauf wir schon lange gewartet und uns gefreut haben: der Sprung in die blaue Tiefe um uns herum - 3755 Meter bis zum Grund! Wir genießen die Abkühlung, das Schwimmen, Tauchen und Springen ausgelassener als jeder Delfin es könnte für über zwei Stunden. Die Quittung kommt sofort: Alle haben sich den Rücken verbrannt. Ups! Es hat sich aber auf jeden Fall gelohnt.

So langsam wird die Reise nun ein Blauwasser-Atlantik Törn wie aus dem Bilderbuch: Die Tage sind vom Wachrythmus geprägt, aber wir bekommen bei der seichten und leisen Fahrt alle eine gute Portion Tiefschlaf. Mit jedem Tag werden die Sonnenuntergänge intensiver und der Mond kommt etwas später, sodass wir einen unglaublich klaren Sternenhimmel analysieren können. So unverfälscht bekommt man den auf der Nordhalbkugel sonst kaum zu sehen. Leider ist der Wind wirklich so unbeständig wie angesagt und wir müssen zwischendurch immer mal wieder Motoren. Als der Wind am 27.12 abends wieder einsetzt können wir endlich wieder Segel setzen und die Nacht mit unserer ganz eigenen Passatbesegelung durchsegeln. Anstatt der „Typischen“ zwei Vorsegel nutzen wir den Leichtwindspi „Runner“ ohne Großsegel. Dadurch haben wir eine Windrange von 5-15 Knoten und können knapp 60 Grad Unterschiede im Einfallswinkel ohne Halse abdecken. Eine sehr angenehme Wahl, die uns optimale Geschwindigkeit aus dem Wind holen lässt ohne den Stressfaktor eines schlagenden Großsegels und Patenthalsen bei Winddrehern. Die Dünung verhindert bei unter 10 kn eine gute Anströmung am Groß, sodass es alle paar Sekunden schlägt und an Schlaf nicht wirklich zu denken ist. In den nächsten 24 Stunden dreht der Wind einmal komplett von ESE über Süd nach NW. Bei den spitzeren Winkeln nehmen wir das Groß dazu und haben allerbeste Bedingungen bei bis zu 15kn. Dann schläft der Wind am 28.12. doch nochmal wieder ein. Nichtsdestotrotz konnten wir Kurs halten und uns den Tag mit Gesellschaftsspielen und guter Musik im Schatten des Sonnensegels vertreiben. Immer mal wieder stehen auch kleine Reparaturen und Ausbesserungen an: wir flicken kleine Scheuerlöcher im „Reacher“-Spi, kontrollieren die leckende Seewasserpumpe der Pantry oder wechseln einen Schäkel an der Großschot aus. Im Großen und Ganzen wurden wir aber von Problemen verschont. 

Kurz vor Sonnenuntergang am 29.12 haben wir das Gefühl, dass der Wind bald wiederkommen müsste und beschließen noch einmal baden zu gehen, da das GPS bei der aktuellen Position endlich mehr als 5000 Meter Wassertiefe anzeigt - ein ganz besonderes Gefühl, hier in den Sonnenuntergang zu schwimmen oder unter dem Boot durchzutauchen. Deswegen dieses Mal auch Baden ganz ohne Badebekleidung - Freiheit pur! Als wir aus dem Wasser kommen, setzt wie gerufen ein achterlicher Wind mit 8-10kn ein. Wir hissen Großsegel und den großen Spi und düsen in die sternenklare Nacht. Morgens ist der Wind sehr drehend. Das ist allgemein eine Beobachtung, die ich nicht erwartet hätte: oft variiert der Wind in einer Range von ca. 10kn und 20-30 grad in der Richtung. Meistens stört es nicht, aber jetzt baut sich eine kabbelige Windewelle auf und die Dünung kommt aus zwei Richtungen. Das macht dem Groß zu schaffen, sodass wir es am Silvestermorgen wieder bergen. Jetzt liegen noch 250 Meilen vor uns und wir haben die Nordspitze von Barbados nur mit Spi & Sonnensegel anliegen. Die Vorfreude auf das Ankommen steigt merklich: endlich wieder eine Süßwasserdusche nach über 16 Tagen, karibische Getränke und die Spannung auf das Gefühl von fester Erde unter den Beinen lassen uns ganz hibbelig werden. Werden wir wohl landkrank werden nach der Ankunft? 

Doch erst einmal heißt es nun das Jahr 2023 gebührend zu verabschieden. Ich bin sehr froh, dass wir die kurzzeitige Illusion einer Überquerung in 14 Tagen bis Silvester nicht geschafft haben und wir diesen besonderen Moment nicht halbwegs normal in einer Strandbar mit teuren Cocktails, sondern im Wachsystem mit Rotlicht-Kopflampen als einziger Lichtquelle begehen können. Wir beschließen als kleines Ritual jede:r ein Gedicht zum Jahreswechsel zu schreiben und Clara und Jannek opfern zwei Stunden ihres Nachtschlafes für den Jahreswechsel. Zu der Zeit hatten wir die Uhren auf vier Stunden Zeitdifferenz zu Deutschland eingestellt. Als es soweit ist hören wir laut Musik, tanzen im Cockpit und fallen uns in die Arme. Danach tragen wir uns unsere Gedichte vor und sprechen über die Erfahrungen 2023 und Wünsch und Ziele für 2024. Bei Jannek und mir heißt es ja bald wieder zurück ins „echte Leben“ zu wechseln und uns Uni-Klausuren und dem Arbeitsalltag zu stellen. Bei Clara und Jan-Henning ist eher die Frage welche karibischen Inseln sie mitnehmen und welche auslassen wollen. Alles in allem war Silvester ein wirklich schöner und intimer Moment auf unserer 3 Quadratmeter-Terasse und allerbestem Sternenhimmel. 

Mit dieser Erfahrung im Rücken purzelten die Meilen danach regelrecht und die Ankunftsprognose von iSailor wurde immer konkreter: Der Vormittag des 2.1. wurde immer realistischer. Doch der Neujahrstag machte es nochmal spannend: wir sahen zwei tiefschwarze Squalls hinter uns aufziehen, doch statt auf uns zuzukommen, zogen sie ca. 90 Grad zu der bei uns vorherrschenden Windrichtung, was dazu führte, dass sie unseren Gradienten erheblich störten. Plötzlich war der Wind innerhalb von Minuten von 16 auf 3 Knoten gefallen und um 70 Grad gedreht. Flaute. Dann setzt er plötzlich von dort mit knapp 20 Knoten ein - also Schnell Spi runter, Groß und Genua hoch. Dieses Wechselspiel ging noch den ganzen Tag so weiter und am Ende hatten wir insgesamt 11 Segelwechel im Logbuch stehen, um immer optimal vorwärts zu kommen. Letztendlich pendelte sich dann aber alles dankenswerterweise auf „Passat“ ein und wurde konstant stärker. 

So sichteten Jannek und Clara dann in ihrer Nachtwache, um drei Uhr morgens des zweiten Januars 2024 Land! Es zeichnete sich so langsam ein Hügel am Horizont ab und als Jan-Henning und ich um 0600 dazukamen, war die Insel schon klar zu erkennen. Der Wind spielte endlich mit und wir düsten mit dem mittleren „Reacher“-Spi und über 7 Knoten auf unser Ziel zu: Port St- Charles. Eine schöne Marina mit Einwanderungsbüro und luxuriöser Ausstattung - so das Hafenhandbuch. Um 8:30 dann die letzte Halse nun schon bei 18 Knoten Wind und knapp 9 Knoten Fahrt - was ein Ritt. Plötzlich wird der Wind nochmal stärker und wir müssen querab der Nordspitze anluven. Zeit den Spi zu bergen, was sich ohne den Schutz des Großsegels als gar nicht so leicht herausstellt. Trick 17 hilft: Spifall fieren und dann über das Unterliek einsammeln. Mit Genua machen wir immer noch knapp 7 Knoten fahrt und das erste Mal nimmt eine schwarze Wolke Kurs auf uns. Zwei Meilen vor dem Ziel haben wir das erste Mal Regen - einen angenehmen kleinen Mini-Squall. Endlich ist das auch von der Liste gestrichen und bei der Reise war wirklich alles dabei. 

Als wir den Hafen für einen Liegeplatz anfunken leichte Ernüchterung. Es gibt keine Marina - nur eine Bunkerstation für Wasser & Diesel sowie ein Restaurant. Also doch Ankern… zum Glück hat das Restaurant aber Duschen, die es nachts nicht abschließt und die wir daher nutzen können. Doch Wäsche waschen wird zu einer ganz besonderen Herausforderung. Dazu aber mehr im nächsten Artikel. 

Nun zum Fazit: Das größte Ziel ist wahr geworden: Die Barfußroute ist eine Barfußroute - wir haben allesamt 17 Tage lang unsere Füße nicht einengen müssen und haben ordentlich Hornhaut und Teakabrieb als Beweis. Aber auch ansonsten war es die beste Form von Abenteuer, die ich mir hätte vorstellen können: Über zwei Wochen abgeschnitten von der Welt mit uns selber und der Natur ohne zu große Gefahren oder Entbehrungen und letztendlich dem perfekten Wetter. Nur wenig Flaute, keine schlimmen Gewitterfronten, eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 6,2 Knoten auf 2300 gesegelten Meilen bei 2048 Meilen direktem Weg. Perfekt! Und die Handbreit Wasser unter dem Kiel hatten wir allemal! 

Vielen Dank für diese Erfahrung an meine Schwester Clara und natürlich auch an Jan-Henning und Jannek. Wir sind ein super Team geworden und werden immer von dieser Erinnerung zehren können. 

 

Hanno Weimer

Foto(s): Clara, Jannek, Hanno, Jan-Henning

Zurück