04.01.2024: Blogeintrag #19

Crewfoto vor dem Auslaufen in Mindelo | Foto: Clara
Crewfoto vor dem Auslaufen in Mindelo | Foto: Clara
 

Crewfoto vor dem Auslaufen in Mindelo | Foto: Clara
Crewfoto vor dem Auslaufen in Mindelo | Foto: Clara
Crewfoto vor dem Auslaufen in Mindelo | Foto: Clara
Crewfoto vor dem Auslaufen in Mindelo | Foto: Clara
Crewfoto vor dem Auslaufen in Mindelo | Foto: Clara
Crewfoto vor dem Auslaufen in Mindelo | Foto: Clara
Crewfoto vor dem Auslaufen in Mindelo | Foto: Clara
Crewfoto vor dem Auslaufen in Mindelo | Foto: Clara
Crewfoto vor dem Auslaufen in Mindelo | Foto: Clara

Atlantiküberquerung Teil 1

Als Start der bisher längsten Etappe haben wir anhand des Wetterroutings den 16.12 auserkoren. Doch dieser Tag ist nicht nur in Bezug auf die aktuelle Wetterlage gut geeignet, sondern auch auf der emotionalen Ebene: es ist auch der 117. Geburtstag von Janneks Urgroßvater Jörgen, der 1971 von Cuxhaven unter LYC-Stander erst eine Solo-Weltumseglung und einige Jahre später eine Solo-Nonstop-Weltumseglung unternahm. Er war es, der seinen Urenkel Jannek, ein Klassenkamerad von Clara aus der Berufsschule beim Blick auf die Etappenliste nur 8 Minuten brauchen ließ, bis er sich entschieden hatte diese Etappe mitzusegeln. Weiterhin mit an Bord für die Überfahrt sind Langzeit-Crewmitglied Jan-Henning und ich, Claras Bruder Hanno. Clara ist die einzige von uns, die schon mehrfach auf dem Atlantik unterwegs war; sowohl unter Segeln, als sie 2016 mit der Walross4 des ASV Berlin von Rio auf die Azoren segelte, als auch unter Motor während ihrer Ausbildung zur Schiffsmechanikerin bei Hapag-Lloyd. Die sogenannte Barfußroute am Südrand der Nord-Ost Passatwinde hatte noch niemand von uns gemacht und dementsprechend wurde die erwartungsvolle Anspannung immer größer. 

Nach einem ausgiebigen kapverdischen Frühstück im Hafenrestaurant und den letzten Vorbereitungen und Erledigungen (Anrufe, Downloads von Musik, Filmen, Dokumentationen & Podcasts) im Internet vor der voraussichtlich 2-3 wöchigen Reise waren wir am Mittag bereit. Das Wetter war sonnig und der Wüstensand versperrte die Sicht etwas weniger als die letzten Tage. Beim Ablegen sprachen wir vorfreudig über unsere Erwartungen und Wünsche der nächsten 16-18 Tage und Nächte. Vieles werden wir zum ersten Mal erleben: Erkenntnisse zu der wahren Größe unseres Planeten oder über 2 Wochen keine Schuhe tragen (hoffentlich). Einiges seit langem mal wieder: über 2 Wochen offline ohne Chance, die digitale Abstinenz zu brechen und nur mit einem kleinen Satellitenkommunikator zur Wetterabfrage und Sicherheitsmeldungen mit der Welt verbunden. Jede Menge kleiner Details konnten wir im Vorhinein nicht abschätzen und freuten uns drauf unverfälschte Erfahrungen zu machen.

Bei den bekannten 16-20 Knoten Passatwinden aus NO liefen wir aus und konnten die Nordspitze Barbados in 2048nm direktem Kurs auf 264° auch fast anliegen. Die Wettervorhersage hatte uns aber empfohlen erst einmal ca. 100 Meilen nach Süden zu segeln, um ein Störsystem mit Flaute zu umgehen. Also machten wir an der Südspitze von Santo Antao unsere erste Halse und ließen die knapp 2000 Meter hohen Berge der westlichsten Insel der Kap Verden schnell hinter uns. Und sofort wurde auch die erste naive Erwartung gebrochen: Barfußroute heißt anscheinend doch nicht Auslaufen, Segel auf Raumschots, Autopilot auf Anlieger einstellen und sich danach 2 Wochen lang nicht mehr mit Segeln beschäftigen zu müssen. Doch es kam anders als erwartet. Und das ist auch gut so.

In der Nacht folgt dann direkt schon die zweite Halse und wir stellen fest, dass der Wind auf Ost gedreht hat und wir nicht mehr den direkten Kurs nach Barbados fahren können. Bei ca. 2m Windewelle auf ca. 3 Meter Schwell und noch etwas wackeligen Beinen finden wir uns damit ab, vor dem Wind mit Genua und Großsegel zu kreuzen anstatt direkt den Spinnaker hochzuziehen. Es gibt ja auch genug zu tun und in die neue Routine des von uns sehr individuell ausgetüftelten Wachsystems einzufinden. Unsere Schapps hatten wir neben abwechslungsreicher Dosenkost und genug Trinkwasser für bis zu 21 Tage auf See auch mit feinstem Obst und Gemüse vom Markt randvoll gemacht, sodass ein morgendlicher Obstsalat mit Ananas, Papaya, Bananen und Orangen den Tag beginnen und abwechslungsreiche Gerichte von Salat über Wraps & Curries uns den Tag lecker und gesund beenden ließen. So vergingen die ersten Tage und Nächte; peu a peu wurden die Routinen ausgetüftelter. 

Da der uns immer noch umgebende Wüstensand nur alle Fallen, Schoten, Blöcke (können Softschäkel aus Dyneema rosten?) und Segelnähte mit einer rostroten Schicht bedeckte, anstatt uns schöne Sonnenuntergänge zu bescheren, führten wir eine Filmstunde nach dem Abendessen ein. Danach gingen sich die ersten vor der Nachtwache schonmal eine Mütze Schlaf holen. Nach drei Tagen widmeten wir uns das erste Mal der Körperhygiene per Salzwasserdusche aus der Pütz! So erfrischend und mit etwas umweltverträglichem Shampoo auch sehr angenehm und gar nicht klebrig. Ein neues Element auf der täglichen Routinen-Liste war erstellt. Tags drauf fiel uns auf, dass wir viel essen (es ist verträglicher viele kleine Portionen zu essen, als 2-3 Große am Tag), sitzen und schlafen. Ein wenig Ertüchtigung muss her. Also hieß es von nun an Liegestütz vor dem Duschen, jeden Tag zwei mehr, sodass wir zum neuen Jahr 50 Stück am Stück schaffen werden. Aber auch das Segeln lief gut: die Etmale lagen bei ca. 150 Meilen, wobei unsere Netto-Strecke gen Westen bei ca. 89% lag.

Nach 5 Tagen erreichte uns das Wetter-Update, dass rund um Weihnachten weitere Störsysteme mit Flaute aus Nordwest auf unsere Route ziehen würden und wir uns auf jeden Fall südlich des 16. Breitengrades halten sollten. Also „schon wieder“ eine Halse - schon 3 Manöver mehr als erwartet nach nicht einmal einer Woche.

Und dabei würde es nicht bleiben. Die Störsysteme entwickelten sich zu großen Gewitterfronten, sodass WetterWelt uns empfahl, noch weiter Südkurs bis zum 13. Breitengrad zu halten und dann ziemlich genau dort wieder Kurs West einzunehmen, da wir dort in einer ruhigen Schneise zwischen dem Tief im Norden und den Gewittern der beginnenden Kalmen ab dem 12. Breitengrad sein würden. Auf dem Weg dorthin kam vor allem bei mir Respekt vor den möglichen Fronten auf. Bekannt für das Gebiet hier sind die sog. Squalls. Kleine, lokale Systeme mit bis zu 30kn Wind und Starkregen, die selten länger als 30 Minuten dauern. Das ist ja kein Problem, besonders, da wir zunehmenden Mond hatten und die Nächte immer heller wurden. Somit waren wir uns sicher, die Squalls früh genug sehen zu können. Ein anderes Kaliber sind die Gewitterfronten, die über Tiefausläufer aus Nordwesten immer öfter den Passat stören. Laut Meeno Schrader eine Folge des Klimawandels, da das Azorenhoch nicht mehr so stark und stabil, die Luftumwälzung auf dem Atlantik dominiert. Diese Fronten können sich auf bis zu 300 Meilen ausdehnen und bis zu 50 Knoten Wind aus Nordwestlichen Richtungen mitbringen. Zudem können Blitze zu einer Gefahr werden, wenn unser Mast die einzige Erhöhung weit und breit ist. Also zückten wir die Literatur der Bordbibliothek, beschäftigten uns mit Schwerwettersegeln und besprachen unsere Rollen im Falle des Falles. Außerdem statteten wir die Rettungswesten mit Extra Mensch über Bord Dyneema Leinen für die schnellere Bergung ohne Geschirr aus und Clara spleißte mit Jannek auch noch Sicherungen für die Schapptüren. 

Es stellte sich aber heraus, dass die Wettermodelle sehr akkurat waren und als Jan-Henning und ich uns am 23.12 morgens auf 12° 50’ Nord für eine weitere Halse entschieden, konnten wir das erste Mal direkt unser Ziel auf 271° anliegen! Was für ein Glücksgefühl. Da der Wind auf ca. 15 Knoten abgenommen hatte und die Welle geringer geworden war, war nun Zeit für den Spi! Damit ging es nun mit über 6kn direkt in Richtung des Ziels! Zum Glück hatten wir mittlerweile den Wüstensand hinter uns gelassen und die Tage wurden immer klarer. Durch die ruhigere Fahrt ohne Krängung wird nun auch noch einmal mehr diese unendliche Weite in schillerndem Atlantikblau sichtbar und es ist bei jedem Blick (auch noch am Ende) beeindruckend und beruhigend. Im Radius von 1000 Meilen kein Land - weder zurück nach Ost, noch nach Süd in Richtung Brasilien und Suriname, noch gen West zu unserem Ziel. Und das alles bei einer Wassertiefe zwischen 3000 und 5000 Metern. Was für eine kleine Nussschale wir doch sind. Und dann das: am morgen des 24.12 kreuzt ein anderer Segler mit nur einer Meile Abstand - doch gar nicht so leer hier. Bisher hatten wir nur hin und wieder andere Schiffe auf ca. 10-20 Meilen Abstand auf dem AIS, aber nicht mit bloßem Auge gesehen.

Hanno Weimer 

Foto(s): Clara, Jannek, Hanno, Jan-Henning

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