23.10.2024: ENDE

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„Aye Aye, Captain!“ – wer hört diesen Befehl und stellt sich nicht sofort den typischen Kapitän vor: Einen großen, stattlichen Mann mit einem buschigen weißen Bart, der gemütlich an seiner Pfeife nuckelt, während er sein Schiff durch die rauen Wellen steuert. Und ja, wir alle wissen natürlich, dass es auch eine „Frau Kapitän“ geben kann. Aber da ist sie eher die „Frau des Kapitäns“, die mit in den Hafen läuft, während ihr Mann das Steuer fest in der Hand hält. Ist ja schließlich eine Männerdomäne, die Seefahrt, oder? Was sollte eine Frau da schon groß anrichten?


Natürlich wusste ich, dass dieses Bild des alten, schrulligen Kapitäns längst überholt ist. Aber sind wir mal ehrlich – wir alle haben diese Vorstellung noch irgendwo im Kopf. Ein alter Seebär mit Pfeife im Mund und wettergegerbtem Gesicht, der stoisch sein Schiff durch Sturm und Wellen steuert. Dass dieses Bild nicht der Realität entspricht, ist klar, aber es spukt trotzdem in unseren Köpfen herum. So war es auch, als ich das Glück hatte, eine längere Zeit an Bord der Meu zu sein – unter der Führung von Clara, der Skipperin. Es war erstaunlich, wie fest dieses Klischee in den Köpfen der Menschen verankert ist. Egal, wo wir anlegten, Clara, die das Schiff manövrierte und alles organisierte, wurde ständig übersehen, wenn es darum ging, wer hier das Sagen hat. Denn klar – der Skipper muss ja ein Mann sein, oder?


Natürlich – es konnte ja nur der große, stattlich gebaute Mann sein, der neben ihr stand. Ich meine, welcher gesunde Menschenverstand würde die Frau, die das Ruder in der Hand hält, als Skipperin vermuten, wenn der BWL-Absolvent (also ich), der von Motoren so viel versteht wie von Astrophysik, danebensteht? Was folgte, war immer eine „schöne“ Routine: Clara bekam von mir ein wissendes Augenzwinkern, wenn ich wieder mal als „Skipper“ oder „Experte für alles Technische“ angesprochen wurde. Hätten wir für jedes Mal, wenn jemand mich für den Skipper hielt, einen Euro bekommen, wäre die Reise wohl ein Schnäppchen für uns beide gewesen!

Besonders kurios wurde es, wenn das Schiff repariert werden musste. Da stand ich dann, ohne jegliche Ahnung, vor den Mechanikern, die mir ernsthaft im Detail erklärten, was sie am Motor machen würden, und fragten, ob das für mich in Ordnung sei. Ich musste sie dann immer höflich darauf hinweisen, dass vielleicht die eigentliche Skipperin – also Clara, ausgebildete Schiffsmechanikerin, die die Meu wie ihre Westentasche kennt – die bessere Ansprechpartnerin wäre. Ach ja, und sie war auch diejenige mit der Kreditkarte!


Nach Monaten auf See und vielen, vielen Bier wurde Clara und mir immer klarer, dass dieser Umstand uns zwar oft belustigte, aber nicht einfach so stehen bleiben durfte. Ständig wurde sie übersehen, ihre Expertise unterschätzt, nur weil sie nicht in das veraltete Bild des „typischen“ Skippers passte – was ich ja genauso wenig tue. „Am Ende der Reise machen wir einen Bericht darüber“, haben wir uns gesagt. Und ehrlich gesagt, habe ich mich lange davor gedrückt, diesen Bericht zu schreiben. Schließlich war ich ja immer „schwer beschäftigt“, den Anker hochzuziehen, und danach natürlich „viel zu müde“ für irgendwelche Berichte.

Aber genug der Ausreden – es ist an der Zeit, diese Lanze für Clara zu brechen. Zugegeben, es fühlt sich für mich als Mann nicht immer einfach an, über ein Thema zu sprechen, von dem ich selbst nicht betroffen bin. Ich bin mir dessen bewusst, dass ich nicht frei von Vorurteilen bin und doch war es mir wichtig, darüber zu schreiben. Ich stand dabei, als Clara wiederholt übersehen wurde und es hat mich frustriert, wie tief verwurzelte Stereotype immer noch die Wahrnehmung beeinflussen. Gerade, weil ich all das miterlebt habe, empfinde ich es als notwendig, ihre Leistungen und ihren unermüdlichen Einsatz hervorzuheben – nicht nur, weil sie eine Frau in einer männerdominierten Branche ist, sondern weil sie schlichtweg herausragend in dem war, was sie tat.

Denn das Bemerkenswerte an Clara ist nicht nur, dass sie als Frau in einer männerdominierten Branche ihren Platz gefunden hat. Es ist die Tatsache, dass sie dieses Langfahrt-Projekt von Grund auf in einer Perfektion organisiert und durchgeführt hat, die ihresgleichen sucht. Ob seglerisch oder organisatorisch – nur wenige könnten ihr das Wasser reichen. Clara hat das Projekt nicht nur gemeistert, sie hat es über die gesamten Monate hinweg mit einer beeindruckenden Gelassenheit geführt. Von den Herausforderungen auf hoher See bis hin zu den administrativen Hürden in den Häfen, Clara hatte alles im Griff.


Und deshalb möchte ich an dieser Stelle noch einmal klarstellen: Clara war nicht „die Frau des Skippers“ oder „die nette Helferin an Bord“. Sie war die Skipperin, und zwar eine der besten, die ich je erleben durfte. Es war ein Privileg, an ihrer Seite zu sein, und ich ziehe meinen Hut vor ihr – nicht nur als Frau in einer Männerdomäne, sondern als herausragende Skipperin, die uns zweimal sicher über den Atlantik und durch die Karibik geführt hat.

P:S: Ich verstehe sehr viel von Astrophysik – ist quasi ein Hobby von mir ;)

P:P:S: An alle, die selbst oft in den Häfen stehen: Clara ist eine großartige Skipperin – und sie ist nicht die Ausnahme. Also, wenn das nächste Mal ein Schiff anlegt, schaut genau hin, wer wirklich den Hut auf hat und gebt der Person die Anerkennung, die er oder sie verdient – egal ob Mann, Frau oder alles dazwischen und außerhalb. 

 

Jan-Henning Kopetsch 

Foto(s): Becci, Lukas Bönisch, Hannah Gerlach, Eileen Lonergan, Michaela Weimer, Lina Steinlein, Jakob Einfeldt, Christian Beeck

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