20.06.2024: Blogeintrag #40
Überquerung Nordatlantik Teil II
Danke Linus für den Teaser! Nun muss ich mich ja ins Zeug legen und euch von den "mehreren dramatischen Wendungen, Höhen und Tiefen" berichten.
Am Freitag hatte uns die erneute Vorhersage unseres Wetterfrosches erreicht, dass uns ab Sonntagabend Wind mit um die 20 Knoten erreichen sollte, worauf wir uns mit Verkleinerung der Segelfläche am Sonntagnachmittag vorbereiten wollten.
Wie geplant wechselten wir das Vorsegel von der Genua III auf die kleinere Genua IV. Die GIII war bereits verstaut und wir waren gerade dabei die GIV anzuschlagen, wofür ich vom Decksaufbau nur einen kurzen Schritt aufs nasse GFK machen wollte, um Linus das Segel zum Anschlagen am Vorstag anzureichen. Ich rutschte mit dem linken Fuß weg und versuchte mich mit dem rechten Bein abzufangen, wobei das Knie unnatürlich nach innen knickte und der Unterschenkel wie bei den Kreuzband-Verletzungen im Skisport nach außen abstand.
Folge der Verletzung noch unklaren Ausmaßes war, dass ich für die alltäglichen Tätigkeit an Bord nicht mehr zur Verfügung stand. Es wurde daraufhin das Wachsystem 2.0 eingeführt, welches vorsah, dass die anderen Crewmitglieder nur noch alleine Wache schoben - nachts drei Stunden, tags fünf Stunden. Dieses hatte den positiven Nebeneffekt, dass mal wieder eine Nachtruhe von 6 Stunden eingelegt werden konnte, was das Schlafdefizit reduzierte und tagsüber zum gemeinsamen Socializing einlud.
Die nächste Hiobsbotschaft folgte am nächsten Morgen, als die Anweisung unseres Wetterfrosches lautete erstmal nach Norden zu segeln, da uns ansonsten ein Tief mit 30-38 Knoten Wind heimsuchen würde. Zusätzlich müssten wir aufgrund des herrschenden Ostwindes auf Horta zukreuzen. Erst am Freitagabend sollte sich ein Süddreher einstellen und die restlichen Meilen erträglicher machen. Gesagt getan! Also machten wir uns auf den Weg Richtung Norden. Mit zunehmendem Wind von gegenan baute sich auch eine sehr unangenehme Welle auf, die die MEU immer wieder ins Tal krachen und jede Faser des Schiffes erzittern ließ. Immer wieder guckten wir bangend in den Mast und unter Deck, ob wohl alles heil geblieben sei. Auf den ersten Blick kämpfte sich die MEU stoisch durch die Wellen. Für uns war das Wetter nicht minder anstrengend und jede Tätigkeit und Fortbewegung an Bord entpuppte sich zu einem kleinen Workout - vor allem mit kaputtem Knie.
Kein Wunder, dass sich die Stimmung immer mehr dem Tiefpunkt näherte. Nach zwei Wochen auf hoher See und fehlender Zuversicht in den nächsten 3 Tagen das Ziel zu erreichen, fehlte es an Kraft und Motivation. Die Meu verwandelte sich zunehmend in ein salzwassertriefendes und dreckiges Ungeheuer, dessen BewohnerInnen ihr in nichts nachstanden.
Einzig Linus konnte vom Schwerwettersegeln nicht genug bekommen und war bei jedem Manöver hochmotiviert bei der Sache.
Langsam aber sicher knabberten wir die noch anstehenden Seemeilen ab. In jeder Wache wurde der Countdown, der noch anstehenden Seemeilen begutachtet. Uns erreichten wieder unschöne Wettervorhersagen und zwar, dass der Süddreher mit dem wir auf die Azoren zufliegen wollten, ausbleiben sollte.
Dennoch erblickten wir am Samstag das erste Mal nach 18 Tagen wieder Land, ein unwirklicher Anblick nach so viel Blau und Weite.
Gott sei Dank stellten wir erst jetzt fest, dass die MEU auf den letzten Seemeilen einiges einstecken musste. Es offenbarte sich, dass wieder, wie auf der letzten Etappe auf der Backbordseite, dieses Mal auf der Steuerbordseite drei Litzen des Unterwantes gebrochen waren.
Wer gedacht hatte das sei der einzige Defekt und nun sei das Abenteuer vorbei, der hatte sich komplett geirrt.
Wir segelten gerade mit 4 Bft aus südlicher Richtung, als unser bester Mann an Bord, Larry (unsere Selbststeuerungsanlage), plötzlich den Kurs nicht mehr halten konnte. Wir lösten ihn schnell ab, um auf Ursachenforschung zu gehen. Angesichts der Tatsache, dass auch bei manueller Steuerung, das Steuer nicht nach backbord eingeschlagen werden konnte, wurde eine defekte Selbststeuerungslage schnell ausgeschlossen. Auch die Steuersäule wurde durch Entkopplung ausgeschlossen. Also blieb keine andere Möglichkeit als einen Sprung ins kühle Nass zu wagen, um sich das Ruder aus nächster Nähe an zu gucken. Zunächst traf es Jan-Henning, der unter wehleidigem Jaulen ob des kalten Wassers (19 °C) schweren Herzens ins Wasser sprang. Allerdings brauchte es dann doch einen zweiten Anlauf mit fachkundigem Blicke von Clara, die feststellte, dass das Ruderlager abgekippt war und doch die ein oder andere Schraube fehlte.
Somit war klar, wir waren erst einmal manövriereingeschränkt und brauchten externe Hilfe, sodass wir über Funk eine Dringlichkeitsmeldung absetzten. Es meldete sich daraufhin eine in 11 Seemeilen vor Anker liegende Segelyacht, die empfahl nach Möglichkeit zur Insel Flores zu motoren und dort wie eine handvoll Yachten vor Anker zu gehen, um einen Plan zu schmieden. So machten wir es dann auch. Unter Motor, mit weniger Krängung und somit weniger Ruderdruck, war die Steuerung uneingeschränkt möglich, sodass wir ohne Unterstützung unseren sehr idyllischen Ankerplatz an der Westküste Flores unterhalb einer satten, grünen Küste einnehmen konnten.
Den Abend nutzen wir, um bei leckeren Pfannkuchen einen Schlachtplan auszuhecken. Dieser sah so aus, dass wir am morgigen Tag mit dem Dingi an Land unsere Dieselvorräte auffüllen und gegen Abend unter Motor nach Horta aufbrechen würden, denn es sollte eine Flaute eintreten, die das Motoren in Richtung Horta leichter machen sollte.
Nach einem ausführlichem Mittagessen in der ortseigenen Kneipe und dem ein oder anderem Bier, denn wir mussten ja erstmalig wieder die europäischen Preise ausnutzen, machten wir uns mit einem frischen Dieselkanister Richtung Horta auf. Der Wirt der Kneipe hatte sich freundlicherweise bereiterklärt, Clara und Jan-Henning in den nächsten Ort zur Tankstelle zu fahren.
Wieder einmal kamen wir nicht so voran wie wir wollten, denn die Welle von gegenan hielt an und die Flaute stellte sich erst später ein als ursprünglich angenommen. Letzteres stellte sich jedoch noch als Segen heraus, denn erneute Berechnungen unserer Dieselvorräte offenbarten, dass wir es nicht allein unter Motot nach Horta schaffen würden. Also blieb uns nichts anderes übrig als wieder die Segel zu setzen, um erst 30 nm vor Horta wieder die Maschine anzuschmeißen. Das Ruder hielt der Belastung Gott sei Dank stand und der Wind schlief erst im Umkreis von genau 30 nm komplett ein. Mit nur noch 10 l Diesel im Tank retteten wir uns nach genau 21 Tagen (mit kleiner Unterbrechung) am Dienstagmorgen in den Hafen von Horta.
Den restlichen Tag verbrachten wir mit Einklarieren, Müllentsorgung, Süßwasserdusche, dem ein oder anderem Kaltgetränk in verschiedensten Kneipen, ...
In Horta darf nach einer Atlantiküberquerung natürlich der Besuch im traditionsreichen Peter Café Sport nicht fehlen, welches seit vier Generationen Anlaufstelle für Seefahrer aus allen Herrenländern ist und wo jeder seinen Vereinsstander aufhängen darf.
Linus und ich mussten am nächsten Tag geplant und ungeplant leider schon den Flieger nehmen. Allerding hat der kurze Eindruck der Azoren Lust auf mehr gemacht.
Ich hätte mir eine bessere Crew-/Skipperin-Zusammensetzung nicht vorstellen können, was die Atlantiküberquerung trotz aller Widrigkeiten zu einem insgesamt tollen, unvergesslichen Abenteuer gemacht hat.
Ich werde euch vermissen!
Vielen Dank an alle für das harmonische Miteinander, und dass ihr mich die letzten Seemeilen ohne mein Zutun über den Atlantik geschippert habt. Ein besonderer Dank geht natürlich an dich, liebe Clara, für deine guten Skippertätigkeiten und für die Organisation dieses beeindruckenden Projektes!
Johanna Strobach
Foto(s): Clara, Privat